Dreamtime

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Wisst ihr, was interessant ist? Ich träume nicht von Corona. Ich träume von allem Möglichen, aber nicht von Quarantäne, Ansteckungsgefahr oder überlasteten Intensivstationen. In meinen Träumen gehe ich tauchen, slacklinen, ins Theater und treffe ganz selbstverständlich Menschen, die ich lange nicht gesehen habe. Das beruhigt mich, es zeigt mir nämlich, dass meine Träume immer noch frei sind. Ich habe gelesen, dass die Menschen insgesamt mehr träumen. Vielleicht will uns unser Unterbewusstsein etwas sagen. Womit wir schon beim Thema wären: Die Zeit der Träume ist angebrochen.

Mit Träumen meine ich in diesem Fall Tagträume, denn nur sie können wir uns aussuchen und aktiv lenken. Zwar können auch echte Träume unter besonderen Bedingungen gelenkt werden – die Technik wird „Klarträumen“ genannt und wäre einen eigenen Text wert – davon soll hier aber nicht die Rede sein.
Jeder von uns träumt auf eine andere Art. Für manchen mag es das Routenbuch sein, das er durchblättert, für andere ist es ein Streamingdienst, der hochwertigen Eskapismus anbietet. Ich habe bemerkt, dass die Unmöglichkeit gewisser Aktivitäten in jedem Fall das Tagträumen verändert. Es gibt kein „Ich könnte ja eigentlich“. Das Träumen ist verschiedene lästige Nebenbuhler losgeworden.

Die aktuellen Einschränkungen bieten also die Möglichkeit, anders zu träumen als sonst. Ich habe mir Zeit für Dinge genommen, die bisher neben Geplantem und Notwendigem untergingen. Etwa, Bücher von früher wieder auszugraben. Davon will ich erzählen.

„Weaveworld“ ist dem Fantastik/Horror-Genre zuzurechnen und wurde im deutschsprachigen Raum unter dem Titel „Gyre“ verkauft. Es geht um eine Welt, die in einen Teppich eingewoben wurde, um sie zu verstecken und so vor der drohenden Auslöschung zu beschützen. Das Buch stammt vom Briten Clive Barker, einem Autor, Maler und Flimemacher, der eigentlich aus dem Horrorgenre stammt und einst von Stephen King zu seinem legitimen Nachfolger erklärt wurde. Abseits der Literatur wurde er als Regisseur des Splatterfilms „Hellraiser“ bekannt.

Ich persönlich bin eigentlich kein Fantastiker mehr, weder als Leser, noch als Autor. Für mich war daher unklar, ob das Lieblingsbuch eines Teenagers für mich heute noch mit Genuss lesbar ist. Als ich mich schließlich daran wagte, war ich überrascht, wie sehr ich es genoss.
Das eigentlich Interessante dieses Experiments war, dass ich in dem Buch neue Dinge entdeckt habe, die mir damals nicht klar waren. Ich habe verstanden, was mir das Buch damals zu sagen hatte. Es bediente eine Sehnsucht, die mir damals nicht bewusst war. Es ist ein Buch über Träumer, die von einer Welt aus Nüchternheit und Ignoranz bedroht werden. Ich genoss es, zu sehen, dass der Teenager, den diese Geschichte so ansprach, es geschafft hat, auf verschlungenen Wegen und gegen alle Widerstände zu einem hauptberuflichen Träumer zu werden. Ich war dieser Sehnsucht gefolgt, und vielleicht hat dieses Buch mehr damit zu tun, wer ich heute bin, als mir bisher bewusst war.

Das ist meine Challenge für euch: Träumt tiefer als sonst, lasst euch darauf ein! Und grabt die alten Geschichten aus. Sie könnten euch überraschen.
Eine Warnung zum Schluss: Träumen ist in der Regel sinnlos. Es ist reiner Selbstzweck und verliert seinen Wert, wenn es von außen gerechtfertigt werden muss. Diese Eigenschaft teilt es übrigens mit dem Bergsport.